Sonntag, 10. Juni 2007

Lob des Schattens

Das Alter (so nennen es die anderen)
ist vielleicht die Zeit unserer Glückseligkeit.
Das Tier ist gestorben oder fast gestorben.
Ich lebe unter lichten und vagen Formen,
die noch nicht die Dunkelheit sind.
Buenos Aires,
das sich früher bis zur endlosen Ebenein Vorstädte aufspaltete,
ist nun wieder Recoleta, Retiro,
die unscharfen Straßen des Elften
und die baufälligen alten Häuser
dessen, was wir immer noch den Süden nennen.
In meinem Leben waren immer zu viele Dinge;
Demokritos von Abdera riß sich die Augen aus, um zu denken;
die Zeit war mein Demokritos.
Dieses Halbdunkel ist gemächlich und tut nicht weh;
es fließt einen sanften Abhang hinab
und gleicht der Ewigkeit.
Meine Freunde habe keine Gesichter,
die Frauen sind so, wie sie vor Jahren waren,
die Ecken sind vielleicht andere,
auf den Seiten der Bücher sind keine Buchstaben mehr vorhanden.
All dies sollte mich erschrecken,
doch ist es eher eine Süße, eine Rückkehr.
Von den Generationen von Texten, die es auf der Erde gibt,
werde ich nur einige wenige gelesen haben,
die, welche ich weiter in der Erinnerung lese,
lese und verwandle.
Vom Süden, vom Osten, vom Westen, vom Norden kommend,
treffen die Wege zusammen, die mich
zu meiner geheimen Mitte geführt haben.
Diese Wege waren Echos und Schritte,
Frauen, Männer, Qualen, Auferstehungen,
Tage und Nächte,
Halbträume und Träume,
jeder geringste Augenblick von gestern
und vom Gestern der Welt,
das feste Schwert des Dänischen und der Mond des Persischen,
die Handlungen der Toten,
die geteilte Liebe, die Worte,
Emerson und der Schnee und so viele Dinge.
Jetzt kann ich sie vergessen. Ich nähere mich meiner Mitte,
meiner Algebra und meinem Schlüssel,
meinem Spiegel.
Bald werde ich wissen, wer ich bin.
JLB, Elogio de la sombra